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Rundbrief August 2007

Das Bild, nicht der Rahmen

Margarethe Randow-Tesch

Im 17. Kapitel des Textbuchs (T-17.IV) ist von zwei Bildern oder Gaben die Rede, die uns angeboten werden: dem Bild des Ego und dem Bild des Heiligen Geistes. Jedes ist für seine Zwecke passend gerahmt. Das Bild, das das Ego uns anbietet, ist von einem schweren, kunstvollen Rahmen umgeben, der die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen soll, sodass das Bild darin übersehen wird. Das andere Bild – jenes, das der Heilige Geist anbietet – ist nur leicht gerahmt, und dort dient der Rahmen einzig und allein dazu, das Bild hervorzuheben, das gar kein Bild, sondern eine lebendige Wirklichkeit ist.

Die Metapher von Bild und Rahmen steht für die fundamentale Unterscheidung von Geist (Ursache, Träumer) und Welt (Wirkung, Traum) – ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch den gesamten Kurs zieht. Ein Satz, der das prägnant ausdrückt, lautet: »Dies ist ein Kurs in Ursache, nicht in Wirkung« (T-21.VII.7:8). Sprich: Dieser Kurs setzt an der Ursache hinter den Erscheinungen oder Träumen dieser Welt an, und es gibt nur zwei: das Denksystem des Ego und seine Berichtigung durch das Denksystem des Heiligen Geistes.

Mehrfach wird gesagt, dass die Wahrnehmung der Form uns blind macht oder dass Erscheinungen täuschen, einfach deshalb, weil wir nur das Äußere (den Rahmen) beurteilen, ohne das Denksystem (das Bild) zu sehen, in dessen Dienst es steht. Wir halten das, was unsere Augen und Sinne uns zeigen, für eine objektive Wahrheit und vergessen, dass Wahrnehmung immer Interpretation beinhaltet und Interpretation einer inneren Quelle entspringt. So ist verbürgt, dass wir wechselnde Gefühle von Freude und Schmerz erleben, die wir äußeren Umständen zuschreiben, aber keine Konstanz.

Im Gegensatz dazu lehrt uns der Kurs, dass wir die beiden Bilder oder Denksysteme miteinander vergleichen müssen, denn in ihnen liegt die Ursache unserer Sicht von der Welt und all unserer Reaktionen: »Ich habe allem die Bedeutung gegeben, die es für mich hat.« Dieses Prinzip der Projektion von zwei Denksystemen, das der Welt zugrunde liegt, muss grundlegend verstanden werden, wenn wir eine echte Wahl haben wollen.

Wie in dem Abschnitt des 17. Kapitels erläutert wird, dient die Betonung des Rahmens oder des Äußeren – der Welt mit ihren vielen Formen, Rollen, Beziehungen und Angeboten – dem Ego dazu, die wirkliche Gabe, die es uns anbietet, zu verschleiern: ein Bild der Vergeblichkeit und des Todes.

Sein auf Illusionen gegründetes Denksystem beginnt mit dem Opfer des Himmels (der Wahrheit) zugunsten des Traums vom individuellen Selbst, zwingt im Traum zu einer unablässigen Kette von besonderen Beziehungen auf der Suche nach Vollständigkeit, die das Ego als Vermehrung der Besonderheit definiert, und ist von Frustration und Vernichtungsangst begleitet.

Die Buddhisten haben es sehr treffend formuliert: Was den Geist an das Rad der Illusion bindet, sind Unwissenheit (das Vergessen, wer wir sind, was den Glauben an Unterschiede und Mangel zur Folge hat), Gier (der aus dem Mangeldenken geborene Wiederholungszwang, sich auf Kosten von etwas anderem vollständig zu machen) und Zorn (das Gefühl der Angst und Bedrohung, der Kampf des individuellen Selbst ums Überleben).

Das ist das hoffnungslose Bild des Ego, das es mit dem Traum der Welt und des Körpers zudeckt: »Der Rahmen ist sehr kunstvoll, ganz und gar besetzt mit Edelsteinen, sorgfältig geschnitzt und glatt poliert. Sein Zweck besteht darin, an sich wertvoll zu sein und deine Aufmerksamkeit von dem abzulenken, was er umschließt. Doch kannst du nicht den Rahmen haben ohne das Bild. Abwehrmechanismen werden wirksam, um dich glauben zu machen, du könnest es« (T-17.IV.7:5-8).

Wir glauben, es könne eine heile Welt ohne Ambivalenz geben: eine Welt der Liebe ohne Hass, des Friedens ohne Unfrieden, der Gerechtigkeit ohne Ungerechtigkeit. Wir müssten hier und da nur das Eine oder andere im Äußern in Ordnung bringen, und das Zeitalter der Vernunft breche an. Die beiden wesentlichen Abwehrmechanismen, die uns das vorgaukeln, sind Verdrängung und Projektion. So entsteht die Vorstellung, dass die Angriffe in der Welt nur ein Unfall und nur an bestimmte Personen (Gruppen, Nationen oder sogar die Menschheit schlechthin) gekoppelt sind. Könnte man diese nur eliminieren, würde endlich Frieden einkehren. Tatsächlich aber ist der Angriff – wie auch immer man ihn definieren und in welchem Gewand man ihm begegnen mag – Teil des Systems. Er ist der Regelfall und nicht die Ausnahme, denn wie könnten aus einem Denksystem von Unwissenheit, Gier und Zorn Liebe oder Frieden hervorgehen?

Das zweite Bild, das Denksystem des Heiligen Geistes, ist nur leicht gerahmt. Hier dient das Äußere nur dazu, das Innere in Form von Vergebung hervortreten zu lassen. Dieses Denksystem steht jenseits und außerhalb des Schlachtfelds des Ego-Denksystems; es ist »eine Miniatur des Himmels, die dir vom Himmel geschickt wird« (T-17.IV.11:1). Hier gibt es keinen Wunsch, »einen Ruf zu hören, der nie erklungen ist« (T-31.II.8:5), sondern nur die Güte der alles einschließenden Liebe. »Wenn du diese Gabe annimmst, wirst du den Rahmen überhaupt nicht sehen, weil die Gabe nur durch deine Bereitwilligkeit angenommen werden kann, deine ganze Aufmerksamkeit auf das Bild zu richten« (T-17.IV.11:3).

Damit ändert sich unsere Deutung der Welt. Sie wird zu einer Chance, dieses Bild hervorzuheben. In diesem Denksystem jenseits der Dunkelheit des Ego, dem »Bild des Lichts«, gibt es keine Bedürftigkeit; niemand wird für schuldig befunden und alle sind Teil des Ganzen. Dieses Bild können wir anstelle jenes des Ego wählen, und indem wir es annehmen und geben, lernen wir, dass wir es bereits haben und dass es mehr ist als ein Bild. Das ist das Kennzeichen der berichtigten Schau: Sie leugnet nicht, was im Äußeren geschieht. Aber sie sieht hinter jeder Form den verzweifelten Sündentraum des Ego, den alle hier gemeinsam träumen. Sie stellt keine Rangordnung von Sündenträumen auf und greift sie nicht an, denn sie betrachtet alle als gleichermaßen unwahr und als Ruf nach Heilung. »Das dunkle Bild, ans Licht gebracht, wird nicht als Angst erregend wahrgenommen, die Tatsache hingegen, dass es nur ein Bild [eine Illusion] ist, wird endlich klar« (T-17.IV.14:6).

Darin besteht die Übung und die Heilung gleichermaßen. Das Bild, nicht der Rahmen – man könnte sagen, es ist die Erinnerung daran, nicht darauf zu bauen, Frieden, Vollständigkeit und Vernunft im Äußeren zu finden, sondern über dem Schlachtfeld und der Logik des Ego – im »Bild der Zeitlosigkeit« im eigenen Innern, das nur vorübergehend »in einen Rahmen der Zeit gefasst« ist.

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